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6 Wochen Lofoten: Mit der Polaris zwischen Schneesturm und Midsommar

Von Nils-Peter Hey

Als ich Mitte April nach Norwegen aufbreche ist es für mich das letzte Mal richtig Nacht. Angekommen in Bodo lerne ich schnell, dass Augenmaske und Kabinenrollos wertvolle Hilfsmittel sind. So richtig dunkel wird es nämlich schon jetzt nicht mehr. Mein Job: 4 Törns, 6 Wochen, 1 Schiff. Auf unserer 17,50m langen Polaris jenseits des Polarkreises unterwegs. Mit wechselnden Crews auf wechselnden Routen über die Lofoten, Vesteralen und Senja, von Vaeroy bis Tromso, von Bodo bis Andenes. Meine Rolle ist die des Co-Skippers. Wir fahren bei bei HS Segelreisen immer nach dem aus der Fliegerei bekannten Senioritätsprinzip. Der „echte“ Skipper ist entweder der Ältere oder der auf dem Schiff oder dem Revier erfahrenere. Im Zweifelsfall schlägt die formal höhere Lizenz, was bei uns aber keine Rolle spielt. Bei uns besitzt jeder die deutschen und englischen Lizenzen. In der täglichen Praxis ist diese Hierarchiefrage nur von seerechtlicher Bedeutung.  Effektiv arbeiten wir in der Schiffsführung und Ausbildung unserer Crews extrem eng zusammen. Von Guido Dwersteg, der inoffiziell sowas wie unser Chefskipper ist, kann man sehr viel lernen. Der abgebrühte Einhandsegler kennt so viele kleine Tricks, dass es mich oft staunend zurücklässt. Und HS-Eigner Uwe Heissel, der gute 50 Jahre auf See unterwegs ist, hat wiederum seine Routinen und Lifehacks, die man sich abgucken kann. Mit beiden werde ich je zwei Törns für unsere internationalen Gäste gestalten. Da ich durchgängig auf der Polaris bin, kann es mir mit einem Augenzwinkern also egal sein, wer unter mir Skipper ist.

Mit unserer ersten Crew starten Guido und ich bei überaus blauem Himmel Richtung Vaeroy. Der Haken: Die gesamten 9 Tage werden sehr frostig, dafür haben wir meistens guten Wind, beobachten Orcas beim Jagen und ackern uns auf der Innenseite der Lofotenwand von einem Highlight zum nächsten. Reine, Nusfjord, Henningsvaer sind die ersten Stationen. Alle zeichnen sich durch ein überaus gutes kulinarisches Angebot aus. Die Fischsuppe im „Fiskekrogen“ wird auch auf den folgenden Törns ein wichtiger Motivationsverstärker sein. Apropos frostig: Ich selber habe mir für die Zeit in Norwegen einen Drysuit zugelegt. Das ist ein wasserdichter Anzug, den man unter den Segelkleidung trägt. Dieser rettet einem im Falle des Überbordgehens das Leben, da er den Kaltwasserschock verhindert und das Auskühlen deutlich verlangsamt. Mit dem Auskühlen haben unsere Gäste an Bord offensichtlich kein Problem. Ein Schweizer Ehepaar zeigt sich beim Steuern der Polaris derartig zäh und kälteresistent, dass es jedem selbsternannten Seebären Respekt abtrotzt. Der Besuch des Trollfjords und das Ankern im Raftsund sind obligatorisch, wenn man den Charakter der Lofoten erfahren will. Anschließend wählen wir die „Westrunde“ und fahren über Laukvika und Stamsund zurück auf die Ofoten (kein Rechtschreibfehler, der festlandseitige Teil der Region) mit Törnende in Bodo.

Zwei Tage frei stehen für Guido und mich an. Ein bisschen putzen und ansonsten Massage und Sauna. So der Plan. Denkste. Effektiv werden uns ein defekter Außenborder, Heckstrahlruder-Batterien und ein Abgastemperatursensor der Heizung auf Trab halten. Mit unbändigem Fleiß, Überstunden und blauen Flecken werden wir pünktlich zum Eintreffen der neuen Crew fertig. Das Wetter gestattet uns wieder eine wunderbar sonnige und kalte Lofoten-Runde mit erstem Stopp in Reine. Die zweite Crew zeichnet sich durch ihren unfassbaren Fleiß beim Beobachten von Nordlichtern aus. Leider wird es immer weniger dunkel. Der Hohn: In Deutschland sind derweil Rekordnordlichter zu beobachten und die halbe Nation flippt aus. Wir müssen uns stattdessen mit Trost-Bier zum in Norwegen typischen Apothekertarif begnügen. Erwähnenswert: Im Platzieren von Running-Gags wurden auch hier („Dongsi Dängsi“) Rekordmarken gesetzt.

Vor dem dritten Törn hieß es Abschied nehmen von meinem humorverwandten Skipperpartner Guido. Uwe trudelt ein mit dem für ihn typischen Ersatzteil-Übergepäck für die Polaris. Mit der dritten Crew machten wir uns auf zum Törnziel Tromso. Also keine West-Lofoten diesmal. Henningsvaer und Fiskekrogen schummeln wir trotzdem rein. Dafür mussten wir am ersten Tag bei guten Windbedingungen gleich knappe 60 Meilen wegbügeln, die Polaris zeigte hier ihr ganzes Potenzial und brachte uns mit „Hey-Speed“ zur Fischsuppe. Durch den Raftsund fuhren wir in den nächsten Tagen durch nicht enden wollenden Regen über Sortland und Risoyhavn nach Andenes. Vor Svolvaer, der Lofotenhauptstadt, wurden wir von zwei großen Orca-Familien beglückt, die ganz zauberhaft nah an die lautlos driftende Polaris herankamen. In Andenes legten wir wetterbedingt einen Hafentag ein, um dann mit Höchstgeschwindigkeit nach Hamn (Whirlpool!) auf Senja zu segeln. Weiter gings um Senja herum bei schwierigen Windverhältnissen zwischen 5 und 40 Knoten über Husoy nach Gibostad und Tromso. Hier erlebten wir den norwegischen Nationalfeiertag. Als Wahl-Bayer ist Blasmusik für mich kein Aufreger. Aber um 06:30 fragt man sich schon, ob man noch träumt oder ob Franz Josef Strauss von den Toten auferstanden ist. Es war wirklich schön mitzuerleben, wie stolz die Norweger ihre Unabhängigkeit inszenieren.

Der letzte Törn führt wieder nach Bodo. Besonders für mich: Meine Gattin Agnes und Sohn Henry kamen von München angereist. In den letzten Jahren hatte es nie für einen gemeinsamen Törn gereicht, hier konnte ich nun endlich ein lang gegebenes Versprechen einlösen. Windmäßig waren die ersten Tage schwierig, dafür haben wir kurze, kräftige Schneestürme auf See erlebt, die immer wieder von strahlendendem Sonnenschein abgelöst wurden. Gegen Törnende dann ging die Sonne effektiv nicht mehr unter, was der Partylaune nach der Ankunft in Bodo sehr zuträglich war.

Alles in allen ist mein Fazit über die Lofoten: Die Vorhersagen über Wind und Wetter sind fast immer Makulatur. Man muss als Skipper sehr flexibel reagieren und immer wieder neue Ideen und Kompromisse finden zwischen Windbedingungen, Endziel und Wünschen der Crew. Wir sind immer sehr engagiert das alles unter einen Hut zu bekommen. Wenn man den vielen wirklich lieben Feedbacks und Internetbewertungen Glauben schenken darf gelingt uns das auch in den meisten Fällen.

Die Lofoten gelten nicht zu Unrecht als eine der schönsten Insellandschaften der Welt. Auch nach 6 Wochen mit 2 Skipperfreunden, 4 verschiedenen Crews, 36 Törnabschnitten und 1.200 Seemeilen würden mir immer noch Ecken einfallen, zu denen ich hin möchte. Die Lofoten sind anspruchsvoll zu segeln, erfordern ein hohes Maß an navigatorischer Vorsicht, sie belohnen aber auch täglich mit einem herunterklappenden Unterkiefer. Die gesamte Szenerie aus Bergen und Meer wirkt eben wie frisch nach der Schaffung der Erde: Einsam, unberührt, atemberaubend. Wenn man nachts um 24 Uhr bei vollem Tageslicht zur „Nachtwanderung“ aufbricht, während die Tiere Radau machen und die Schatten lang sind, dann weiß man: Oberhalb des Polarkreises ist das Leben einfach anders. An Schlaf ohne Schlafbrille ist nicht zu denken. Muss man erleben, nein, muss man ersegeln!

Ich sage danke an unseren Eigner Uwe, Skippermentor Guido und vier wundervolle, kooperative, wissbegierige, entspannte und humorvolle Crews. Meine Re-Sozialisierung ist auch mit 3 Wochen Abstand nicht abgeschlossen. Für nächstes Jahr freue mich mich auf die Strecke Island – Azoren. Hier werden wir uns rund 1.600 Seemeilen lang den Herausforderungen des Nordatlantiks stellen und erst auf den Azoren zum Inselhopping übergehen.

 

19. Juni 2024 Reisebericht