Spitzbergen 2024 – Ein besonderes Abenteuer mit der POLARIS (Teil 5)
von Guido Dwersteg
Longyearbyen ist übersichtlich, versprüht aber dennoch einen gewissen Charme. Man fühlt sich hier tatsächlich ein bisschen wie ein Polarforscher, der nun nach langer Reise endlich ein großes Ziel erreicht hat und sich weit weg von Stress und Hektik des Alltags befindet.
Nach unserer kleinen Ankunftsfeier gestern, stehen heute schon wieder organisatorische Dinge auf dem Programm. Zum einen natürlich das Bunkern von Proviant und Getränken. Zwar hatten wir bereits in Tromsø einen guten Vorrat angelegt, trotzdem wollen wir aber für die nächsten 8 Tage möglichst autark sein und benötigen dazu doch noch etwas Nachschub. Der Supermarkt in Longyearbyen lässt dann auch keine Wünsche offen. Auf einer riesigen Fläche findet man hier alles was das Seglerherz begehrt. Normalerweise sollte man hier größere Einkäufe per Vorbestellung anmelden. Das haben wir uns aber doch gespart, da dies wohl eher für größere Ausflugs- und Kreuzfahrtschiffe gilt. Schnell sind also ein paar Einkaufswagen gefüllt. Fehlt noch ein bisschen Bier und Wein. Das ist auf Spitzbergen aber gar nicht so einfach. Denn der Verkauf von Alkohol ist hier streng reglementiert. Einheimische dürfen nur ein bestimmtes monatliches Kontingent erwerben und Touristen nur mit einer entsprechenden Genehmigung oder einem gültigen Flugticket. Damit soll wohl dem hier gerade im Winter hohen Risiko von Alkoholmissbrauch vorgebeugt werden. Wir selbst sind ja per Schiff angereist und waren eigentlich der Auffassung, dass wir damit auch unbeschränkt einkaufen können. Dem ist aber leider nicht so. Die zuvor beantragte Erlaubnis ist für uns aus irgendeinem Grund nicht ausreichend und so ziehen wir zunächst unverrichteter Dinge wieder aus dem Nordpolet Store ab. Später kommen wir dann auf die Idee, es mal mit den vorhandenen Rückflugtickets unserer Crew zu versuchen und siehe da, alles kein Problem mehr.
Nun gibt es natürlich wichtigere Dinge als Wein und Bier an Bord zu haben. Aber für die Stimmung und den traditionellen Anleger am Ende eines Segeltags wäre es doch schön auch künftig ohne viel Heckmeck zumindest eine Grundausstattung an Bord zu haben. Langer Rede kurzer Sinn: Wir wollen eine offizielle Genehmigung haben. Nachdem Uwe und ich zunächst online versuchen, uns durch den Wust an Formularen und Genehmigungen zu wühlen, laufen wir schließlich selbst hinauf zum Büro des Sysselmesters. Das ist quasi der Chef oder Gouverneur von Spitzbergen und damit die Instanz schlechthin. Alles was es zu entscheiden gibt läuft über den Sysselmester. Sogar Rechtsprechung und Hochzeiten darf der hier abwickeln. Die Dame im Büro kann uns dann allerdings auch nicht wirklich helfen. Wir müssten als professioneller Veranstalter im Grunde eine Ausschankerlaubnis, ähnlich wie eine Bar oder ein Restaurant, beantragen. Dann dürften wir einkaufen was wir wollen und das ganze auch an Bord mitführen und ausschenken. Der Antrag hätte allerdings eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer von ungefähr 5 Wochen. Das ist natürlich etwas zu lang und so lasse ich meinen ganzen Charme spielen, um vielleicht doch noch eine schnellere Lizenz zu erhalten. Die junge Dame verspricht sich zu bemühen, schickt uns aber auch hier bis auf weiteres nach Hause. Uwe saß derweil übrigens mit der Waffe vor der Tür. Damit darf man hier natürlich nirgendwo hinein gehen. Schon gar nicht in Behörden oder Banken :-). Zwar ist es in Longyearbyen wegen der laufenden Überwachungsmaßnahmen nicht zwangsläufig notwendig eine Waffe zu tragen. Aber irgendwie fühlt man sich angesichts der hier rumlaufenden Eisbären so irgendwie sicherer.Am nächsten Morgen geht es dann endlich weiter. Alle haben sich gut erholt, die Schränke sind voll und unser nächstes Ziel ist auch schon ausgemacht. Wir wollen nach Pyramiden, einer seit Jahrzehnten verlassenen ehemals russisch-sowjetischen Bergbausiedlung in the middle of nowhere. Schon früher habe ich verschiedene Artikel und auch eine TV-Reportage über diesen unwirtlichen Ort verschlungen und wollte seither immer mal hierhin. Unsere Fahrt führt uns dazu weiter in den Ijsfjord hinein. Teils unter Maschine aber auch unter Segeln kommen wir gut voran. Die Landschaft um uns herum lässt uns dabei immer wieder schwärmen. Karge Bergehänge, die immer wieder merkwürdig anmutenden Felsformationen und zwischendurch tiefe Buchten mit Gletschern oder verbliebenen Muränen. Das Wetter spielt auch mit. Nur einige wenige Wolken ziehen über uns hinweg und die Sonne lacht.
Knapp 30 Seemeilen beträgt die Distanz bis nach Pyramiden. Viel sieht man zunächst nicht. Einzig ein riesiger Berg mit einem pyramidenförmigem Gipfel thront an der vermuteten Position des Ortes. Und genau dieser Berg ist der Namensgeber für die verlassene Siedlung. Hinter einer Felsnase biegen wir dann nach Backbord ab und sehen vor uns die ersten Gebäude und Pieranlagen. Schon von weitem erkennen wir, dass hier in den letzten Jahren viel verfallen ist. Ein echter „lost place“, abrr genau deshalb sind wir ja auch hier. Je näher wir der Küste dann kommen, um so mehr können wir erkennen. Der „Hafen“ besteht aus einem aus groben Brettern und Holzpfählen zusammengenagelten Steg. Darauf ein uralter Kran, der über eine ebenfalls marode Förderanlage mit dem Land verbunden ist. Eine Marina gibt es hier selbstverständlich nicht. Dafür aber einen tatsächlich neuen Schwimmsteg, an dem heute aber bereits zwei Yachten liegen. Wir entscheiden uns deshalb vor Anker zu gehen.
Wenig später fällt dann auch unser Rocna in der vorgelagerten Bucht. Zeit für einen ersten Landgang. Da wir hier natürlich mit dem Dinghi anlanden müssen und das Wasser selbst im Sommer noch empfindlich kalt ist, müssen alle Crewmitglieder dazu die mitgebrachten Überlebensanzüge tragen. Die sind zwar ganz schön sperrig, aber sicher ist sicher. Während sich also alle umziehen, mache ich schon mal das Beiboot klar. Auch hier haben wir extra für Spitzbergen nachgerüstet und neben dem normalen aufblasbaren Dinghi ein großes Feststoffboot aus Hartplastik dabei. Das soll uns insbesondere gegen etwaige Beschädigungen durch Eisbären schützen.
Die Überfahrt zum Land ist kurz und nach zwei Fuhren sind auch alle am Steg abgesetzt. Uwe lädt die Langwaffe durch und ich vertäue das Beiboot sicher am Steg. Zum Ort selbst ist es ein circa 15-minütiger Fußmarsch. Dabei geht es über teils matschige Schotterpisten vorbei an zerfallenen Gebäuden, Hallen und Förderanlagen. Das ganze wirkt schon etwas morbid. Ich selbst finde es aber total interessant und auch unsere Crew scheint begeistert zu sein. Zeitgleich halten wir natürlich immer gut Ausschau nach etwaigen Eisbären, die sich von irgendwoher nähern oder hinter irgendeiner Wand oder Mauer auftauchen. Anfangs ist das schon ein schräges Gefühl. Mit der Zeit gewöhnt man sich allerdings sehr gut daran.Vorbei an einer etwa 30 Meter hohen Säule mit kyrillischem Schriftzug PYRAMIDEN geht es ins „Zentrum“. Hier stehen die ehemaligen Wohnhäuser der Bergarbeiter und deren Familien. Alle natürlich im quadratisch praktischen postkommunistischen Stil. Bevor wir uns hier etwas näher umschauen wollen wir aber erst mal ins örtliche Hotel. Ja, es gibt hier tatsächlich ein Hotel. Hier werden neben den Guides für den Fremdenverkehr auch einige Touristen untergebracht. Vorbei an der Rezeption geht es erst mal in eine Art Umkleide. Hier entledigen wir uns der nervig warmen Anzüge und müssen natürlivh die Schuhe ausziehen. Uwe muss seine Waffe zusätzlich in einem sicheren Waffenschrank verstauen. Durch einen quietschroten Gang laufen wir dann ins Restaurant. Auch hier erwartet uns viel bunter Kitsch, tiefe gemütliche Ledersessel und sogar ein paar Menschen treffen wir hier an.
Die freundliche Bedienung versorgt uns dann mit ein paar Kaltgetränken und Kanbbereien. Neugierig beäugen wir dabei die vielen kleinen Details wie ein altes Wandtelefon sowie typisch russische Bücher und Dekorationen. Alles scheint hier lebendige Geschichte zu atmen. Wir fühlen uns jedenfalls gleich pudelwohl. Nun wollen wir aber weiter in den Ort. Zumindest für eine kurze Runde, denn die eigentliche Besichtigung mit Guide haben wir zuvor an der Rezeption für den nächsten Morgen gebucht. Nur wenige Minuten vom Hotel entfernt stehen wir bereits auf dem zentralen Platz des Ortes. Hier gibt es sogar ein paar Straßen rund um eine große Rasenfläche. Darauf ein Schild mit stilisiertem Eisbär und erneut kyrillischen Buchstaben. Ganz am Ende des Rondells steht eine Lenin-Büste auf einer steinernen Säule. Der darf hier natürlich nicht fehlen. Die leerstehenden Häuser sehen derweil besser aus als gedacht. Zwar wird alles von Heerscharen von Möwen bevölkert und der Zahn der Zeit hat an den Fassaden genagt, aber das hier seit über 20 Jahren keine Menschen mehr leben erkennt man spontan so erst mal nicht. Den Abend verbringen wir dann an Bord. Wir machen es uns gemütlich, schmeißen die Heizung an und kochen etwas leckeres zu Abendessen.
Am nächsten Morgen geht es erneut mit dem Dinghi an Land. Dieses mal entledigen wir uns glech am Steg der dicken Anzüge. Gestern wäre nämlich der ein oder andere fast an einem Hitzschlag gestorben. Und weil wir heute vermutlich doch mehr zu Fuß unterwegs sein werden, lassen wir die Anzüge lieber gleich bei unserem Beiboot. Im Ort nimmt uns dann ein junge Dame in Empfang. Auch sie trägt eine Langwaffe über der Schulter, was angesichts von heute Morgen frischen Eisbärspuren nahe unseres Schiffs auch Sinn macht. Es beginnt der etwa zweistündige Rundgang. Allein über die Besichtigung könnte ich hier stundenlang schreiben. Es geht durch Wohnhäuser, das ehemalige Krankenhaus, die Stadthalle mit Kino, einer Kantine, das Schwimmbad, eine Schule samt Kindergarten und sogar die seinerzeitige KGB-Zentrale einmal quer durch den Ort. Hunderte Fotos werden geschossen und noch einmal so viele Fragen gestellt. Eigentlich sind Führungen ja nicht so mein Ding, aber diese Veranstaltung hier ist wirklich empfehlenswert. Gerade wenn man sich etwas für die jüngerer Geschichte interessiert.
Zum Mittagessen gehen wir noch einmal ins Hotel. Es gibt zwar nicht viel Auswahl aber das was wir bekommen ist lecker und macht satt. Danach brechen wir auch schon wieder auf. Wir wollen Anker auf gehen und nach einem Abstecher zu einem nahe gelegenen Gletscher die Nacht in einer Seitenbucht des Ijsfjord verbringen. Dazu im nächsten Teil mehr.